Porträt Cem Özdemir Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft

Cem Özdemir, Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft

Quelle: BMEL/Janine Schmitz/Photothek

Mit dem Titel „Gutes Essen für Deutschland“ setzt die Ernährungsstrategie des Bundes mit zahlreichen Maßnahmen auch die Kita- und Schulverpflegung in den Fokus. Wir sprachen mit Cem Özdemir, Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft, über die Umsetzung. Das Interview fand im April 2024 statt.

Die Ernährungsstrategie der Bundesregierung umfasst eine Vielzahl von Maßnahmen, mit denen eine gesunde Ernährung einfacher gemacht werden soll. Was heißt das konkret?

Gutes Essen im Alltag für alle leichter machen, darum geht es bei der Ernährungsstrategie. Wir haben besonders Kinder und Jugendliche im Blick: Jede und jeder soll in diesem Land die Chance haben, gesund aufzuwachsen. Leider ist das immer noch auch eine soziale Frage. Und ich weiß, wovon ich spreche: Meine Eltern kamen als sogenannte Gastarbeiter nach Deutschland und mussten viel und lange arbeiten. Nach der Schule war ich meist allein. Für mein Mittagessen bekam ich circa 1,60 Mark, das reichte meistens für eine Rote Wurst und Pommes. Davon habe ich mich jahrelang ernährt. Und es gibt leider immer noch Kinder und Jugendliche, denen es heute so geht wie mir damals. Deswegen setzen wir bei der Verpflegung in Kita und Schule an. Ich will, dass jedes Kind und jeder Jugendliche einmal am Tag eine gute, gesunde und schmackhafte Mahlzeit erhält, aus saisonal, regional erzeugten Lebensmitteln –  und gerne auch Bio. Ich will mich damit nicht zufriedengeben, dass das in der drittgrößten Volkswirtschaft der Welt nicht möglich sein soll.

Was wollen Sie im Bereich der Kita- und Schulverpflegung noch in dieser Legislaturperiode umsetzen?

Die Verbesserung der Qualität ist wichtig – das beste Angebot nützt ja nichts, wenn es den Kindern und Jugendlichen nicht schmeckt und sie es nicht essen. Deshalb arbeiten wir daran mit den Bundesländern, die ja für die Verpflegung zuständig sind, entsprechende Strukturen zur Qualitätsentwicklung dauerhaft zu etablieren. Dafür fördern wir die Vernetzungsstellen Kita- und Schulverpflegung. Wir unterstützen Kita- und Schulträger beim Beschaffungsmanagement der Verpflegung. Wir werden den Schulen zusammen mit den Bundesländern ein digitales Qualitätsmanagement-Tool „Unser Schulessen“ zur Verfügung stellen, damit diese vor Ort die Qualität des Verpflegungsangebots überprüfen können. Eine wichtige Säule für ein vielseitiges Essen in Schulen und Kitas sind die Qualitätsstandards für die Gemeinschaftsverpflegung, die die Deutsche Gesellschaft für Ernährung, kurz DGE, entwickelt hat. Diese kommen in manchen Bundesländern schon längst zum Einsatz – etwa in Bayern, auch wenn das der dortige Ministerpräsident Herr Söder gerne verschweigt, wenn er mal wieder gegen die wissenschaftliche Arbeit der DGE poltert und einen Kulturkampf um Fleisch aufführt. Man braucht den Menschen nicht sagen, was sie essen sollen. Als Politik haben wir für die Rahmenbedingungen zu sorgen, damit die Menschen sich selbst entscheiden können – so verstehe ich meinen Job.

Die Ernährungsstrategie konzentriert sich auf den Kompetenzbereich des Bundes. Maßnahmen im Bereich der Kita- und Schulverpflegung, wie z. B. die verbindliche Umsetzung des DGE-Qualitätsstandards, liegen in Länderhoheit. Wie wollen Sie eine erfolgreiche Bund-Länder-Zusammenarbeit gestalten?

Stimmt, unser föderales System sieht vor, dass die Versorgung in Kita und Schule Ländersache ist. Aber Bund und Länder teilen das wichtige Ziel, die Verpflegung in Kitas und Schulen nachhaltig zu verbessern. Mein Ministerium arbeitet bei ernährungspolitischen Maßnahmen seit vielen Jahren erfolgreich mit den Ländern zusammen. Im Rahmen der Initiative IN FORM haben beispielsweise Bund und Länder gemeinsam die Vernetzungsstellen für Kita- und Schulverpflegung geschaffen, die vor Ort die Qualitätsentwicklung der Verpflegung in Bildungseinrichtungen vorantreiben. Das Nationale Qualitätszentrum für Ernährung in Kita- und Schule unterstützt, koordiniert und sorgt für Vernetzung der zuständigen Akteure auf Landesebene. Und natürlich tauschen sich Bund und Länder regelmäßig auf den unterschiedlichen Ebene aus.

Auf kommunaler Ebene sind die Kosten für Kita- und Schulmahlzeiten in unterschiedlichen Anteilen zwischen den Kita- und Schulträgern und den Eltern aufgeteilt. Welche Möglichkeiten sehen Sie auf Bundesebene, Kita- und Schulmahlzeiten direkt zu subventionieren?

Der Bund macht das bereits: Kinder, deren Eltern sogenannte Transferleistungen beziehen, haben über das Bildungs- und Teilhabepaket die Möglichkeit, am gemeinschaftlichen Mittagessen teilzunehmen – weil der Staat für diese Kosten aufkommt. Mit der Kindergrundsicherung möchte der Bund nun die Inanspruchnahme der Leistungen für Bildung und Teilhabe erhöhen, was ich ausdrücklich begrüße. Und für weitere Gespräche mit den Ländern, wie wir die Verpflegung in Kindergärten und Schulen weiter verbessern können, bin ich immer offen.

Auch der vom Bundestag eingesetzte Bürgerrat Ernährung hat in seinen Empfehlungen gutes, gesundes Essen in Kita und Schule ganz hoch priorisiert. Den Menschen ist das Thema also wichtig. Wie kann der Bund dazu beitragen, dass in Kitas und Schulen Ernährungsumgebungen geschaffen werden, die Kindern und Jugendlichen nachhaltige Mahlzeiten schmackhaft machen?

Die Empfehlungen des Bürgerrats sind Rückenwind für die Ernährungsstrategie der Bundesregierung und sie zeigen, dass es zu dem Ziel einer gesunden und nachhaltigen Ernährung einen breiten gesellschaftlichen Rückhalt gibt. Ich finde, die drittgrößte Industrienation der Welt sollte in der Lage sein, jedem Kind und Jugendlichen eine kostenfreie Mahlzeit pro Tag anzubieten. Das kostet aber Geld: Die geschätzten zusätzlichen Kosten von etwa sechs Milliarden Euro können wir in der aktuellen Lage leider nicht dafür mobilisieren. Wie der Bürgerrat stelle ich die bessere Qualität in den Vordergrund. Als Mindeststandard soll die Verpflegung an den DGE-Qualitätsstandards ausgerichtet sein und es sollen mindestens 30 Prozent ökologisch produzierte Lebensmitteln auf den Tisch kommen.

Mit einer Machbarkeitsstudie soll ein krisensicheres nationales Ernährungsprogramm für Kita- und Schulverpflegung geprüft werden, das modular und schrittweise umgesetzt werden kann. Was sind Ihre Erwartungen an ein solches Programm?

Die Pandemie hat uns gezeigt: Viele Kinder sind darauf angewiesen, dass ihnen in Kitas und Schulen mittags ein warmes und gesundes Essen serviert wird. Mit Wegfall der Kita- und Schulverpflegung fiel die Wahl oft auf ungesunde Alternativen – Übergewicht und Adipositas haben zugenommen. Der Wissenschaftliche Beirat für Agrarpolitik, Ernährung und gesundheitlichen Verbraucherschutz (WBAE) beim BMEL hat hierzu im vergangenen Jahr eine lesenswerte Stellungnahme veröffentlicht. Der Beirat kommt zu dem Schluss, dass von Armut betroffene Menschen während der Pandemie nicht ausreichend im Fokus der Maßnahmen zur Abmilderung der Pandemiefolgen standen. Das müssen wir ändern. Wir wollen Verlässlichkeit schaffen, übrigens auch für die Anbieterseite. Dafür werden wir zunächst diese Machbarkeitsstudie in Auftrag geben, um im Krisenfall eine gute Ernährung für alle sicherzustellen und Fehlernährung möglichst zu vermeiden.

2026 tritt der Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung in Grundschulen in Kraft. Damit wird die Bedeutung einer gesundheitsförderlichen und nachhaltigeren Schulverpflegung weiter zunehmen. Welche Möglichkeiten sehen Sie, gerade auch im Schulterschluss mit anderen Ressorts, die Schulverpflegung stärker in den Lebens- und Lernort Schule zu integrieren.

Der Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung ist eine Chance für Eltern, die damit bei der Vereinbarkeit von Beruf und Familie unterstützt werden, und für Kinder, die hier verlässlich in Kita und Schule mit einer warmen Mahlzeit versorgt werden sollen. Die Schule und insbesondere die Mensa sind darüber hinaus Lern- und Lebensraum, wo Kinder den Umgang mit und die Wertschätzung für Lebensmittel erlernen und erfahren können. Für das Investitionsprogramm Ganztagsausbau stellt der Bund den Ländern rund drei Milliarden Euro bis 2027 zur Verfügung. Mit dem Geld wird auch der Neubau von Schulküchen ermöglicht. Klar ist aber auch, nur wo die Rahmenbedingungen stimmen, Räume, Ausstattung, Zeit und qualifiziertes Personal da sind, kann auch gut gelernt werden. Das gilt auch für die Verpflegung als wichtiger Bestandteil des Lebensort Schule. Hier bedarf es einer gemeinsamen Kraftanstrengung von Bund und Ländern – eine Investition in die Zukunft.