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Heiko Krause und Astrid Sult, Bundesverband für Kindertagespflege

Quelle: BVKTP

Mit Heiko Krause, Geschäftsführer des Bundesverbandes für Kindertagespflege (BVKTP) und Astrid Sult, wissenschaftliche Referentin, sprachen wir über die Rahmenbedingungen der Verpflegung in der Kindertagespflege. Das Interview fand im Mai 2024 statt.

Die Kindertagespflege ist neben der Betreuung in Kindertageseinrichtungen eine gleichwertige Form der Kindertagesbetreuung. Die Gleichstellung bezieht sich auf den Bildungs- und Betreuungsauftrag ebenso wie auf die dafür erforderlichen qualitativen Voraussetzungen. Kann die Kindertagespflege diesem Anspruch in der Praxis gerecht werden?

Heiko Krause: Diese Gleichstellung funktioniert in der Praxis hervorragend. Rechtlich ist klar geregelt, dass die Gleichstellung nur den Bereich der unter Dreijährigen (U3) betrifft. Im Ü3-Bereich – also für Kinder ab 3 Jahren – kann Kindertagespflege gewährt werden, allerdings nur ergänzend zur Kindertagesbetreuung oder bei besonderem Bedarf. Blicken wir auf U3, zeigt die Kindertagespflege besondere Vorteile im Vergleich zur Betreuung in Kitas: Erstens die kleine Gruppe von maximal fünf anwesenden Kindern und zweitens die vertraglich und auch pädagogisch feste Zuordnung zu einer bestimmten Kindertagespflegeperson.

Welche strukturellen Voraussetzungen sind für die Gleichstellung notwendig?

Heiko Krause: Erstens muss die Kindertagespflege auskömmlich finanziert sein. Uns als Bundesverband bereitet die Bindung der Vergütung ausschließlich an die Anzahl der betreuten Kinder schon seit Jahren Bauchschmerzen. Denn auch wenn Tageseltern temporär weniger als fünf Kinder betreuen, bleiben die Fixkosten wie Miete, Strom, Wasser oder Heizung. Lediglich Kosten wie beispielsweise für Lebensmittel variieren. Deswegen fordern wir mindestens einen Sockelbetrag, der die laufenden Kosten unabhängig von der Anzahl der Kinder finanziert. Zweitens brauchen wir eine Konkretisierung der Vertretungsregelung. Es ist gesetzlich geregelt, dass bei Krankheit und Urlaub eine Vertretung sicherzustellen ist. Hier fordern wir Vertretungsmodelle, die auf Ebene des Jugendhilfeträgers organisiert und verantwortet werden und nicht wie bisher häufig an die Pflegepersonen ausgelagert wird. Und drittens braucht es mehr Personal in der begleitenden Fachberatung, das dem gesetzlichen Beratungsanspruch von Eltern und Kindertagespflegeperson gleichermaßen gerecht werden kann.

Welche Voraussetzungen sollten erfüllt sein, damit im Betreuungsalltag gesundheitsförderliche und nachhaltige Mahlzeiten angeboten werden können?

Astrid Sult: In der Kindertagespflege ist Essen und Trinken Handeln im pädagogischem Auftrag und gleichzeitig stark persönlich geprägt. Alle Beteiligten haben ihren eigenen Blick auf die Mahlzeiten, hier gilt es ein gemeinsames Verständnis zu entwickeln. Fragt man die Kindertagespflegeperson, so sollen Mahlzeiten gesund und bezahlbar sein und schnell auf den Tisch gebracht werden können. Für Eltern soll es vor allem eins sein – das Beste für ihr Kind! Für den Jugendhilfeträger und die Fachberatung muss das Essen frisch, gesund und hygienisch zubereitet sein. Gleichzeitig sollen die Kinder eigenständig Essen und Trinken lernen. Und für die Kinder selbst soll es vor allem schmecken. Als Verband ist uns das Verständnis der Kindertagespflegepersonen wichtig, dass es am Esstisch auch um Beziehung und Interaktion geht. Die Kinder sollen Lust bekommen, neue Lebensmittel kennenzulernen, und gute Erfahrungen mit und beim Essen machen können. Für die Tagesmutter oder den Tagesvater kann das herausfordernd sein, denn sie müssen ja nicht nur dafür sorgen, dass gesunde Speisen auf den Tisch kommen, sie entscheiden auch über das Koch- und Essgeschirr, das Mobiliar, die kindgerechte Gestaltung des Tisches, des Ess-Raumes und auch der Küche. Analog zu den Bedürfnissen der Kinder müssen sie die Mahlzeiten planen, Mengen und Kosten kalkulieren, einkaufen, Lebensmittel angemessen lagern und zubereiten. Sie gestalten die Übergänge vom Alltagsgeschehen zu den Mahlzeiten und müssen vor allem sehr junge Kinder beim Essen unterstützen, eventuell essen sie selbst mit. Für all das muss sich die Kindertagespflegeperson natürlich Zeit nehmen.

Heiko Krause: Was die Ausstattung betrifft, haben wir es auf Bundesebene mit einem unbestimmten Rechtsbegriff zu tun, der sagt „Die Räume müssen kindgerecht sein.“ Auf kommunaler Ebene gibt es in vielen Satzungen dazu detaillierte Regelungen. Zum anderen müssen wir sehen, dass wir bei der familiennahen Betreuung im eigenen Haushalt der Kindertagespflegeperson die Unverletzlichkeit der Wohnung als Kriterium einbeziehen müssen und wollen. Natürlich müssen bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein, aber man kann nicht verlangen, dass alles komplett umgebaut wird. Eine zu starke Detail-Tiefe könnte hier hinderlich sein. Insgesamt wollen wir eine möglichst familiennahe Betreuung realisieren, um etwa im „Lernraum Küche“ pädagogische Ziele erreichen zu können.

Wie können die Fachberatungen die Kindertagespflegeeltern bei ihrem Ernährungsbildungsauftrag begleiten und welche Qualifikation brauchen sie selbst dafür?

Astrid Sult: Die Fachberatungen sind bundesweit sehr heterogen aufgestellt. Sie sollen sicherstellen, dass durch ihre Arbeit die Qualität der Kindertagespflege weiterentwickelt wird. Eine spezielle Ausbildung für die Tätigkeit in der Fachberatung gibt es jedoch nicht. Vieles von dem Wissen, das sie vermitteln, eignen sie sich entweder selbst an oder sie müssen auf Informationen Dritter zugreifen, die sie weitergeben. Bezogen auf die Verpflegung kann die Fachberatung darauf achten, dass die Standards für eine ausgewogene Ernährung umgesetzt werden. Sie sollte zudem darauf schauen, was die Kindertagespflegeperson kocht, wie sie das Essen präsentiert, wie die Mahlzeitengestaltung überhaupt aussieht oder wie Hygienevorschriften eingehalten werden. Die Fachberater*innen sichern also den Blick von außen und geben Impulse für fachlich notwendige Veränderungen. Dazu müssen sie selbst entsprechend qualifiziert sein. Wir haben hierfür ein „Kompetenzprofil Fachberatung in der Kindertagespflege“ herausgegeben, das die Komplexität des Arbeitsfeldes abbildet.

Heiko Krause: Wir wünschen uns natürlich, dass Fachberatungen eine verbindliche und mindestens 100 Unterrichtseinheiten umfassende Qualifizierung bekommen, bevor sie tätig werden. Einige Fachberatungen kommen zwar aus dem Kita-Bereich und kennen sich gut aus, aber was die Spezifika der Kindertagespflege betrifft, z. B. die rechtliche Rahmung, braucht es eine entsprechende Qualifizierung, damit der umfassende und gesetzlich normierte Anspruch auf Fachberatung in der Kindertagespflege auch erfüllt werden kann.

Und welche Herausforderungen ergeben sich daraus für die Qualifizierung der Kindertagespflegpersonen mit Blick auf die Verpflegung und Ernährungsbildung?

Astrid Sult: Das Thema muss in der Grundqualifizierung und in weiteren Fortbildungen eine Rolle spielen. Die Herausforderung besteht sicherlich darin regelmäßig zu reflektieren, wie das Thema im Alltag praktisch umgesetzt ist. Wahrscheinlich ist kaum eine andere Aktivität im pädagogischen Alltag so stark von den individuellen und sehr persönlichen Einstellungen geprägt, wie das Essen und Trinken während der Betreuung. Das heißt, die Referent*innen, die in der Qualifizierung tätig sind, sollten in der Lage sein, Reflexions- und auch Biographiearbeit begleiten zu können und nicht nur den ernährungsphysiologischen Aspekt zu lehren.

Heiko Krause: Wir sind bei der Grundqualifizierung der Kindertagespflegepersonen in den letzten Jahren sehr gut vorangekommen. Das Qualifizierungshandbuch ist eine sehr anspruchsvolle, hochwertige und kompetenzorientierte Qualifizierung, die inzwischen die gängige Grundqualifizierung für die Kindertagespflege im Umfang von 300 Unterrichtseinheiten darstellt. Es obliegt dem Jugendhilfeträger, über seine Satzung bestimmte Module in der Qualifizierung verpflichtend vorzuschreiben. So könnte es etwa eine verpflichtende oder optionale Fortbildung zu Ernährungsfragen geben. Idealerweise werden die Kindertagespflegepersonen für die Inanspruchnahme von Fortbildungen vergütet.

Wie wichtig ist aus Ihrer Sicht eine pädagogische Konzeption? Wie kann Verpflegung und Ernährungsbildung hier sinnvoll verankert werden?

Astrid Sult: In einer Konzeption sollte das Profil der Kindertagespflegestelle deutlich werden: wie sind Prozesse, Aktivitäten und Handeln gestaltet, welche Ziele werden verfolgt und wie werden diese umgesetzt. Kindertagespflegepersonen können sich damit präsentieren und für sich werben. Wichtig ist, dass in der pädagogischen Konzeption auch beschrieben wird, wie das Thema Ernährung in der praktischen Arbeit umgesetzt wird. Eltern und Fachberatung können sich so schon vorab ein gutes Bild davon machen.

Der Bundesverband für Kindertagespflege feiert in diesem Jahr sein 50. Jubiläum. Wie stellen Sie sich zukunftsgerecht auf?

Heiko Krause: Die öffentlich finanzierte und organisierte Kindertagespflege in Deutschland ist eine unglaubliche Erfolgsgeschichte. Heute müssen wir im politischen Kontext wieder aufpassen, dass das nicht zurückgedreht wird. Auf einen Meilenstein unserer Arbeit möchte ich noch aufmerksam machen: Das Zertifikat für die Betreuung in der Kindertagespflege, das es seit 2004 gibt. Das Besondere daran ist die Einheitlichkeit der Ausbildung, die in ganz Deutschland gilt. Es ist unser Anliegen, dass das im föderalen System nicht untergeht. Wir wollen auch zukünftig das erreichte Qualifikations- und Qualitätsniveau in der Kindertagespflege halten und weiter ausbauen. Denn die Herausforderungen werden nicht weniger, das gilt auch für die Ernährung, z. B. mit Blick auf verschiedene Ernährungsformen oder Nachhaltigkeit. Wenn die Kindertagespflege ihr besonderes Profil mit kleinen Gruppen, persönlicher Betreuung und Familiennähe behält, dann hat sie eine gute Zukunft.