Jugendliche Schülerin bedient sich in der Mensa am Salatbuffet.

Eva Reiter und Christoph Bülau, Ganztagsschulverband e.V.

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Das NQZ im Gespräch mit Eva Reiter und Christoph Bülau, 1. Vorsitzende bzw. 2. Vorsitzender des Ganztagsschulverbandes e.V. Das Interview fand im September 2024 statt.

Wie sieht für Sie eine gelungene Verpflegung im Ganztag aus?

Eva Reiter: Im Ganztag gehören neben einer täglichen warmen Mahlzeit auch Zwischenmahlzeiten wie Frühstück und Snacks zu einer gelungenen Schulverpflegung. Es muss gewährleistet sein, dass über den ganzen Tag hinweg kostenlos Getränke wie Wasser oder Tee bereitstehen, und dass Kinder selbstverständlich immer und überall trinken dürfen. Und natürlich wünschen wir uns, dass die Verpflegung wirtschaftlich umsetzbar und ressourcenschonend ist, um den ökologischen Fußabdruck zu reduzieren. Gelungen ist Schulverpflegung auch, wenn das pädagogische Personal am Mittagessen teilnimmt. Aus unserer Sicht ist das Essen ein Arbeitsmittel und muss für die Lehr- und pädagogischen Fachkräfte kostenfrei sein.

Christoph Bülau: Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Qualität der Speiseräume: eine einladende und freundliche Atmosphäre, ausreichend Platz und eine angenehme Geräuschkulisse. Wichtig ist auch, dass die Schulverpflegung sozialverträglich ist und alle Kinder Zugang zu gesunden Mahlzeiten haben, unabhängig von ihrer finanziellen Situation.

Vor welchen Herausforderungen stehen Ganztagsschulen dabei aktuell?

Christoph Bülau: Ein bedeutendes Problem ist die Finanzierung. Obwohl die Kultusministerkonferenz ein gesundes und bezahlbares Mittagsangebot fordert, sind die finanziellen Mittel oft begrenzt. Auf der einen Seite sind in den letzten fünf Jahren die Kosten für die Mahlzeiten erheblich gestiegen. Auf der anderen Seite wächst ein Fünftel aller Kinder in Deutschland in Armut auf, das heißt, deren Eltern können häufig nicht die Mittel aufbringen, um eine qualitativ hochwertige Verpflegung sicherzustellen. Kinder aus armutsgefährdeten Familien werden damit systematisch vom Essen ausgeschlossen, wenn keine ausreichende Unterstützung durch den Staat oder die Kommune vorhanden ist.

Eva Reiter: Eine der zentralen Schwierigkeiten ist die Sicherstellung einer ausgewogenen und gesunden Ernährung für alle. Man kann sagen: Schulverpflegung ist an vielen Standorten zu unüberlegt, zu wenig, zu viel oder zu einseitig. Der DGE-Qualitätsstandard ist nicht immer allen Schulleitungen und Verpflegungsverantwortlichen bekannt, und es besteht oft ein Mangel an gezielter Unterstützung. Ohne ausreichendes Wissen und Schulung ist es schwierig, die notwendigen Verbesserungen vorzunehmen.

Was kann helfen, den DGE-Qualitätsstandard besser bekannt zu machen?

Eva Reiter: Ein großes Problem der Schulen ist, dass wenig zeitliche und personelle Ressourcen bestehen, Fortbildungsangebote z. B. von den Vernetzungsstellen Schulverpflegung wahrzunehmen.

Christoph Bülau: Die Vernetzungsstellen Schulverpflegung machen bundesweit tolle Fortbildungsangebote. Eine erste Schwierigkeit ist aber, dass ihnen eine langfristigere Begleitung der Schulen kaum möglich ist. Zweitens muss viel deutlicher werden, welche bedeutende Scharnierfunktion das Mittagessen für den Ganztag und auch insgesamt hat. Das findet sich zum Beispiel in den Qualitätsrahmen für Ganztagsschulen in den Bundesländern überhaupt nicht wieder. Im Idealfall stehen da zwischen vielen Ganztagskriterien zwei oder drei lapidare Sätze zur Verpflegung, ohne jeden Hinweis auf den DGE-Qualitätsstandard. Und drittens muss deutlicher werden, wer eigentlich für die Verpflegung verantwortlich ist. Es gibt viele Organisationsmodelle für den Ganztag, gleichzeitig viele Modelle, wie Schulverpflegung organisiert werden kann. Da passiert es schnell, dass Verantwortlichkeiten hin und her geschoben werden und sich niemand wirklich verantwortlich fühlt. Das ist ein Problem.

Braucht es eine gesetzliche Verankerung der Schulverpflegung in den Ländergesetzen?

Christoph Bülau: Ja, unbedingt, das sollte in jedes Schulgesetz und in jeden Qualitätsrahmen. Es ist ja nicht so, dass es wenig Forschung oder Erkenntnis darüber gibt, wie Schulverpflegung erfolgreich gestaltet werden kann. Aber dann stellt sich die Frage, wer für die Qualitätssicherung sorgt und sie bezahlt. Und da zeigt sich, dass Bildung und Ernährungsbildung in Deutschland nicht den Stellenwert haben, den sie haben müssten.

Aus Ihren Ausführungen wird aber auch deutlich, dass Sie vorrangig die Schulen in der Verantwortung sehen, ein bedarfsgerechtes Angebot umzusetzen?

Eva Reiter: Wir als Verband sind der Überzeugung, dass Schulen mit dem gebundenen Ganztag vorrangig selbst ihre Qualitätsvorstellungen entfalten dürfen und sollten. Dazu gehört auch die Organisation der Mittagsverpflegung. Wir wissen, dass das an vielen Schulen nicht der Fall ist und auch in den Bundesländern unterschiedlich gehandhabt wird. Sofern Kooperationspartner oder Träger der Nachmittagsbetreuung im Spiel sind, sollte die Verpflegung idealerweise in der Verantwortung aller Akteure sein. An diesen Schnittstellen liegt aber die Gefahr, dass Verantwortlichkeiten hin und her geschoben werden. Aus schulischer Sicht sehen wir natürlich, dass das Mittagessen ein sehr pädagogischer Moment ist, der gut begleitet werden muss. Gerade in Grundschulen ist dies besonders wichtig.

Christoph Bülau: Ja, Schulverpflegung ist ganz klar eine Aufgabe der Schule. Wir wollen Caterer zwar nicht aus der Verantwortung nehmen, aber letztendlich liefern sie das Essen in die Schulen, das dort bestellt wurde. Als wirtschaftlich tätige Unternehmen können sie nicht Schulverpflegung nach DGE‑Qualitätsstandard bereitstellen, wenn das in der Schule nicht akzeptiert ist. Wir müssen uns fragen, ob das Thema Ernährungsbildung und Verpflegung in der Schule wirklich schon so weit ist, dass wir das pädagogisch in den Ganztag einbetten können. Natürlich brauchen Schulen aber auch entsprechende räumliche und personelle Ressourcen, die der Schulträger und/oder der Träger des Ganztages bereitstellen müssen. Dafür braucht es gemeinsame Konzepte und da machen wir uns nichts vor: Häufig sind es die Schulen, die ein solches Konzept anstoßen und voranbringen.

Mit Blick auf die Verpflegung: Sind denn die etablierten Ganztagskonzepte eine gute Grundlage für die Umsetzung des Rechtsanspruches auf Ganztagsbetreuung ab 2026?

Eva Reiter: Die etablierten Ganztagskonzepte bilden grundsätzlich eine solide Grundlage für die Umsetzung des Rechtsanspruches. Diese Konzepte berücksichtigen bereits viele Aspekte der Ganztagsbetreuung, einschließlich der Verpflegung, und haben sich in vielerlei Hinsicht bewährt. Sie bieten Rahmenbedingungen, die es Schulen ermöglichen, ein Mittagessen anzubieten und verschiedene Verpflegungsoptionen zu integrieren.

Christoph Bülau: Allerdings gibt es noch mehrere Bereiche, in denen nachgebessert werden muss. Die aktuellen Konzepte und Standards müssen weiterentwickelt werden, um sicherzustellen, dass die Mahlzeiten den gesundheitlichen und ernährungsphysiologischen Anforderungen entsprechen. Und das Thema Ernährung in der Schule sollte nicht auf das Mittagessen beschränkt sein, sondern muss alle Ernährungssituationen umfassen, also auch den Schulkiosk und die Frühstückspause. Es ist kontraproduktiv, wenn es zwar ein hochwertiges Mittagessen gibt, der Schulkiosk aber Softdrinks und Schokoriegel verkauft.

Welche strukturellen Voraussetzungen braucht es dann?

Eva Reiter: Um die Verpflegung auf hohem Niveau sicherzustellen, sind ausreichend finanzielle Mittel erforderlich. Dies betrifft sowohl die Kosten für qualitativ hochwertige Lebensmittel als auch für qualifiziertes Personal. Es sollte ein System entwickelt werden, das eine gerechte Finanzierung ermöglicht und gleichzeitig sicherstellt, dass die Verpflegung sozial verträglich bleibt. Idealerweise, und hier schließen wir uns als Verband den Forderungen des Bürgerrats Ernährung an, muss das Essen für die Schülerinnen und Schüler kostenfrei sein.

Christoph Bülau: Insgesamt erfordert die Umsetzung des Rechtsanspruches auf Ganztagsbetreuung ab 2026 eine umfassende Weiterentwicklung der bestehenden Konzepte. Es bedarf eines koordinierten Ansatzes, der finanzielle, infrastrukturelle und pädagogische Aspekte berücksichtigt, um eine gesunde, nachhaltige und akzeptierte Verpflegung für alle Schülerinnen und Schüler sicherzustellen.

Wie kann ein solcher koordinierter Ansatz aussehen?

Christoph Bülau: Der erste Ansatz ist, die Schulverpflegung kostenlos anzubieten. Der zweite Ansatz ist, den Empfehlungen der Kultusministerkonferenz zu folgen, wie ein guter Ganztag gestaltet werden kann. Dort findet sich ein klarer Hinweis auf das Mittagessen, das nach DGE-Qualitätsstandard gestaltet werden soll. Im Zuge des Föderalismus ist es den einzelnen Bundesländern, Kommunen und Schulen überlassen, wie sie das ausbuchstabieren. Das macht in vielerlei Hinsicht Sinn, weil beispielsweise die Kleinstadt in Sachsen andere Voraussetzungen hat als etwa Hamburg oder Bremen. Auf der anderen Seite braucht es eine bessere und einheitlichere Unterfütterung der Empfehlungen, damit die Bundesländer mehr fachliche Hilfestellung an die Hand bekommen. Dazu gehört, dass die bestehenden Unterstützungssysteme besser finanziert werden, wie z. B. die Vernetzungsstellen Schulverpflegung. Sie brauchen eine langfristige institutionelle Förderung. Nicht zuletzt müssen wir aber verdeutlichen, über was für einen Sanierungsstau im Bildungssystem wir sprechen. Unsere Schulen sind bei Weitem keine Lern- und Lebensräume, wie wir uns das vorstellen. Wir reden hier von einer Investitionslücke von insgesamt 55 Milliarden Euro. Und da ist der finanzielle Aufwand für die Umsetzung des Rechtsanspruches noch gar nicht enthalten. Es braucht also jetzt ein klares und deutliches Zeichen, dass Bildung wichtig ist. Und für den Bereich der Verpflegung muss das Kooperationsverbot zwischen Bund und Ländern fallen.

Und welche schulischen Rahmenbedingungen braucht es, damit Schulverpflegung zu einem integralen (Bildungs-)Bestandteil des Schulalltages wird?

Eva Reiter: Zunächst einmal ist es wichtig, dass Schulen die Verpflegung als essentiellen Teil des Bildungsprozesses anerkennen. Dies erfordert eine Integration der Verpflegung in den schulischen Alltag. Die Mittagspause sollte ausreichend lang sein, um den Schülerinnen und Schülern die Gelegenheit zu geben, sich in Ruhe zu stärken und soziale Kontakte zu pflegen. Im Klartext: Die Mittagspause darf kein Abfallprodukt der Stunden- und Alltagsplanung sein, wie das der Autor Holger Renner mal so passend ausgedrückt hat, bei der es nur um die Überbrückung zwischen Vor- und Nachmittag geht.

Christoph Bülau: Ein weiteres wichtiges Element ist die Einbindung der Verpflegung in den pädagogischen Kontext. Dies kann durch Ernährungsbildung im Unterricht oder in Ganztagsangeboten erfolgen, bei der die Schülerinnen und Schüler lernen, wie man sich gesund ernährt und welche Bedeutung eine ausgewogene Ernährung für die körperliche und geistige Gesundheit hat.

Wie können Kinder und Jugendliche noch mitgenommen werden?

Christoph Bülau: Die Einbindung der Schülerinnen und Schüler und ihrer Eltern ist ein wesentlicher Bestandteil für Akzeptanz. Es ist hilfreich, transparent zu zeigen, wie Rückmeldungen und Vorschläge umgesetzt werden und in Entscheidungsprozesse einfließen. Wenn Schülerinnen und Schüler sehen, dass ihre Ideen zu Verbesserungen führen, steigt die Motivation, sich weiterhin aktiv einzubringen. Teilhabe und die Förderung von Eigenverantwortung sind wichtige Prozesse, denn Schülerinnen und Schüler wissen am besten um ihre Bedürfnisse.

Eva Reiter: Außerdem ist wichtig, WIE das Essen ausgegeben wird. Hamburg setzt zum Beispiel auf das Free-Flow-Modell. Hier haben die Schülerinnen und Schüler eine größere Auswahl und sie können spontan selbst entscheiden, was sie essen möchten. Die Caterer sind präsenter und können sich in engerem Kontakt mit ihren Gästen direkt Feedback abholen. Allerdings muss auch das pädagogisch begleitet werden, beispielsweise um jüngeren Kindern zu helfen, eine Mahlzeit zusammenzustellen oder sie auch mal zu motivieren, etwas Neues auszuprobieren.

Wie engagiert sich Ihr Verband für eine Qualitätsentwicklung in der Schulverpflegung?

Eva Reiter: Grundsätzlich setzt sich der Ganztagsschulverband auf Bundes- und Länderebene für ein qua­li­ta­tiv hoch­wer­ti­ges, be­darfs­ge­rech­tes, ge­sun­des und kos­ten­frei­es Mit­ta­ges­sen ein, min­des­tens nach DGE-Qualitätsstan­dard, das in ein ganz­heit­li­ches Er­näh­rungs­kon­zept ein­ge­bet­tet ist. Das haben wir gerade erneut in unserem Grundsatzpapier im Juni 2024 bekräftigt.

Christoph Bülau: Wir machen unermüdlich darauf aufmerksam, wie wichtig Bildung ist, und das schließt auch die Verpflegung mit ein. Dazu bieten wir zum Beispiel regelmäßig Veranstaltungen zum Thema an. Als Fachverband liefern wir diesbezüglich Informationen und Hinweise an die Politik und alle relevanten Akteure. Wir wollen an den richtigen Stellen unangenehm sein.