Eine Kindergarantie soll in der Europäischen Union dafür sorgen, dass bedürftige Kinder Zugang zu frühkindlicher Betreuung, Bildung und Gesundheitsversorgung haben. In Deutschland hat die Arbeitsgemeinschaft für Familienorganisationen Empfehlungen zur Umsetzung formuliert, die auch die Forderung nach gesunden Kita- und Schulmahlzeiten beinhaltet.
Mit der im Juni 2021 auf EU-Ebene beschlossenen „Garantie für Kinder“ (Child Guarantee bzw. Kindergarantie) sollen bedürftige und von Teilhaberisiken bedrohte Kinder in allen europäischen Mitgliedsstaaten unterstützt werden. Als „bedürftig“ bezeichnet die Initiative arme oder armutsbedrohte Kinder, die in prekären familiären Situationen leben oder andere Formen von Benachteiligungen (z. B. Migrationshintergrund, ethnische Diskriminierung, Heimerziehung) erleben müssen. Mit der Kindergarantie soll vor allem soziale Ausgrenzung und Kinderarmut verhindert und bekämpft werden.
Nationale Aktionspläne
Per Selbstverpflichtung wollen sich die EU-Mitgliedsstaaten dafür einsetzen, dass diese Kinder Zugang zu frühkindlicher Betreuung, Bildung, gesunder Ernährung und Gesundheitsversorgung haben und ihnen angemessener Wohnraum zur Verfügung steht. Dazu sollen die Mitgliedsstaaten jeweils einen Nationalen Aktionsplan bis zum Jahr 2030 entwickeln. In Deutschland begleitet die Arbeitsgemeinschaft der deutschen Familienorganisationen (AGF) den Umsetzungsprozess mit einer Fachgesprächs-Reihe, in der einzelne Themenbereiche auf die deutsche Situation analysiert und Vorschläge für eine Verbesserung diskutiert werden. Aus den Gesprächen hat die AGF Empfehlungen für die nationale Umsetzung der Kindergarantie formuliert, die ersten Empfehlungen betreffen den Bereich Ernährung. Bei deren Erstellung ist auch die Expertise des Nationalen Qualitätszentrums für Ernährung in Kita und Schule (NQZ) eingeflossen. Weitere Empfehlungen der AGF folgen.
Ziel: Effektiver Zugang zu ausreichender und gesunder Ernährung
Die AGF weist darauf hin, dass auch in Deutschland eine unzureichende Ernährung ein Problem darstellt. Ernährungsstudien zeigten übereinstimmend, dass die meisten Kinder und Jugendlichen zu wenig Obst und Gemüse sowie pflanzliche Lebensmittel mit einem hohen Gehalt an komplexen Kohlenhydraten essen. Stattdessen sei der Konsum von Fleisch und Wurstwaren, Süßigkeiten, Limonaden und Snacks deutlich zu hoch. Betroffen seien insbesondere Kinder aus Familien mit niedrigerem sozio-ökonomischen Status, für die dieser Umstand signifikant stärker zutreffe als für den Durchschnitt. Der enge statistische Zusammenhang von sozioökonomischer Ungleichheit, der ungleichen Verteilung von ausgewogener Ernährung in der Bevölkerung und ungleicher gesundheitlicher Chancen, macht aus Sicht der Familienorganisationen strukturelle Probleme deutlich und offenbart einen starken ernährungs-, gesundheits- und sozialpolitischen Handlungsdruck.
Kindertagespflege, Kita und Schule als zentrale Ansatzpunkte
Für den Bereich „Gesunde Ernährung“ erachtet die AGF daher einen Maßnahmen-Mix als notwendig, der u.a. die Familie als Ganzes in ihrer Ernährungskompetenz stärkt und Bildungs- und Betreuungseinrichtungen in die Lage versetzt, eine gesundheitsförderliche Ernährung als Bildungsthema für Kinder und Eltern zu etablieren und auch praktisch umzusetzen. Wichtige Ziele der Gesundheitsförderung sind durch die Kita- und Schulverpflegung erreichbar, so die AGF. Die Bundes-, Landes- und kommunalen Ebenen seien gleichermaßen gefordert, die hier liegenden Potenziale zu nutzen. Dies sei derzeit nicht der Fall. Zwar könnten die meisten Kinder eine warme Mittagsmahlzeit in der Schule erhalten (87 %), doch würden weniger als die Hälfte der Kinder dies auch in Anspruch nehmen (43 %). Es zeige sich darüber hinaus ein signifikanter Unterschied bei der Teilnahme an der Schul- und Kitaverpflegung zwischen Kindern aus sozio-ökonomisch schwachen und stärkeren Familien.
Kostenfreie Kita- und Schulverpflegung für alle Kinder
In Deutschland können Kinder aus armutsbedrohten Familien Leistungen für ein kostenloses Mittagessen aus dem Bildungs- und Teilhabepaket (BuT) erhalten. Die Expert*innen der AGF kritisieren jedoch hohe bürokratische Hürden, die viele Anspruchsberechtigte von einer Inanspruchnahme abhalten. Hier müsse kurzfristig ein vereinfachter Zugang ermöglicht werden. Mittelfristig sollte das Mittagessen für alle Kinder kostenfrei sein, so eine weitere Forderung. Damit würde die gesundheitliche und soziale Chancengleichheit gefördert.
DGE-Qualitätsstandards als Basis für alle Kita- und Schulmahlzeiten
Die AGF unterstützt eine Forderung der Kindergarantie, dass „Ernährungsstandards in Einrichtungen der frühkindlichen Betreuung, Bildung und Erziehung und anderen Bildungseinrichtungen spezifischen Ernährungsbedürfnissen Rechnung tragen müssen“. Die Expert*innen bemängeln, dass daran gemessen die Ernährungsqualität in deutschen Bildungseinrichtungen derzeit im Durchschnitt zu gering ist. Um die Qualität anzuheben, sieht die AGF diverse Ansätze, u.a.:
- Die DGE-Qualitätsstandards für die Verpflegung in Kitas und Schulen müssen verbindlich zur Anwendung kommen.
- Die Rahmenbedingungen für die Verpflegung in Kitas und Schulen müssen weitreichend verbessert werden. Sachgerechte Küchenausstattung ist sowohl für das Catering als auch für Lehrküchen zur praktischen Vermittlung von Ernährungswissen notwendig.
- Notwendig ist eine gute Qualitätssicherung, z. B. in Form zentraler Kontrollstellen, wie sie auf Berliner Landesebene existieren.
- Bund, Länder und Kommunen sind gefordert, für Kitas und Schulen genügend Budget für den Bereich Ernährung einzuplanen. In der öffentlichen Förderung von Ganztageseinrichtungen sollte mehr Wert auf frisches Kochen vor Ort gelegt werden.
- In Vergabeverfahren für Kita- und Schulverpflegungsleistungen muss ein Wechsel vom Preis- hin zu einem Qualitätswettbewerb erfolgen.
- Bildungseinrichtungen müssen die Kita- und Schulverpflegung mit einem entsprechenden Curriculum verknüpfen und in sie in ihre Bildungsaufgaben integrieren.
Gesundheitsbewusste Alltagskultur – Kinder, Jugendliche und Eltern beteiligen
Insgesamt spricht sich die AGF dafür aus, bei den Mahlzeitenangeboten eine gesundheitsbewusste Alltagskultur zu leben. Aus Elternsicht sollte die Kindergarantie mit einer Förderung esskultureller Kompetenzen einhergehen, so die Expert*innen. Kitas und Schulen sollten Kindern eine gesundheitsbewusste Ernährung nahebringen, Genussfähigkeit vermitteln und die Freude des sozialen Miteinanders beim Essen erfahrbar machen. Wichtig seien auch Möglichkeiten der Mitgestaltung. Hier wünscht sich die AGF, dass die Einbeziehung der Eltern sowie der Kinder und Jugendlichen an der Gestaltung der Mahlzeiten deutlich ausgebaut wird. Es sei außerdem notwendig, dass die Fachkräfte in den Einrichtungen für ihren Beitrag zur Ernährungsbildung über entsprechende Kompetenzen verfügten. Hierfür müssten sie stärker unterstützt und fortgebildet werden.
Quelle und weiterführende Informationen
- Pressemeldung der AGF vom 16.12.2021: Umsetzung der Kindergarantie: Empfehlungen der AGF für den Bereich "Ernährung"
- Empfehlungen der AGF für einen Nationalen Aktionsplan im Rahmen der Europäischen Garantie für Kinder für den Themenbereich „Ernährung“
- European Commission – European Child Guarantee
- Nationales Qualitätszentrum für Ernährung in Kita und Schule (NQZ): Hintergrundwissen, Zahlen und Fakten zur Verpflegung in Kindertagespflegestellen, Kitas und Schulen in Deutschland.