Im Saarland müssen alle Ganztagsschulen den DGE-Qualitätsstandard für die Schulverpflegung verpflichtend umsetzen. Christoph Bier, Leiter der dortigen Vernetzungsstelle, gibt einen Einblick in Umsetzungsstrategien und Ergebnisse. Das Gespräch fand im Februar 2024 statt.
Wie ist die verpflichtende Verankerung des DGE-Qualitätsstandards im Saarland ausgestaltet?
Im Saarland müssen alle Ganztagsschulen den DGE-Qualitätsstandard für die Schulverpflegung verpflichtend umsetzen. Diese Regelung wurde mit dem Schuljahr 2013/14 eingeführt. An freiwilligen Ganztagsschulen ist der Träger der Nachmittagsbetreuung für die Mittagsverpflegung verantwortlich. Dies sind in aller Regel freie und private Träger, in seltenen Fällen ist es auch der Schulträger. In gebundenen Ganztagsschulen ist der Schulträger immer für die Mittagsverpflegung zuständig.
Welche Empfehlungen müssen eingehalten werden?
Wir haben die Einhaltung stark an die Zertifizierung der DGE gekoppelt. Das heißt nicht, dass die Speisenanbieter eine zertifizierte Menülinie anbieten müssen. Schulen, die eine zertifizierte Menülinie erhalten, haben aber weniger Mitwirkungspflichten bei der Qualitätssicherung. Ansonsten müssen mindestens die Lebensmittelhäufigkeiten für die Speisenplanung umgesetzt und dokumentiert werden. Werden mehrere Menülinien angeboten, so sind diese aufeinander abzustimmen, damit auch bei freier Auswahl zwischen mehreren Menüs an einem Wochentag die Vorgaben eingehalten werden. Das gilt für alle Menükomponenten, für die ein Maximalwert vorgegeben ist, z. B. für Fleischgerichte oder panierte und frittierte Menükomponenten. Das ist eine Abweichung zur DGE, die sich mit ihren Empfehlungen jeweils nur auf eine Menülinie innerhalb eines gesamten Speisenangebotes bezieht.
Warum ist das Saarland diesen Weg gegangen?
Als wir 2009 mit der Vernetzungsstelle Schulverpflegung gestartet sind, war uns von Anfang klar, dass kein Weg an einer verbindlichen Umsetzung des DGE-Qualitätsstandards vorbeigeht. Wir haben das von Beginn an bei allen Stakeholdern entsprechend kommuniziert. Ausschlaggebende Argumente waren Gesundheitsförderung und die Prävention von Übergewicht und Adipositas. Essverhalten entwickelt sich in einem soziokulturellen Lernprozess, der nur langfristig über die gesamte Spanne der Esssozialisation von Kindern und Jugendlichen positiv beeinflusst werden kann. Kitas und Schulen stellen daher zentrale Ernährungsumgebungen dar, in denen Kinder und Jugendliche Kompetenzen zur Ausprägung eines eigenen, gesundheitsfördernden und nachhaltigen Lebensstils erwerben können. Mit der verbindlichen Umsetzung haben das saarländische Verbraucherschutz- sowie das Bildungsministerium einen Weg zur Prävention und mehr Qualität in der Schulverpflegung eingeschlagen.
Welche Beratungsleistungen stellt Ihre Vernetzungsstelle in dieser Hinsicht zur Verfügung?
Wir hatten als Vernetzungsstelle etwa ein Jahr Vorlauf bis zur verbindlichen Einführung des DGE-Qualitätsstandards. Diese Zeit haben wir genutzt, um in allen Landkreisen und dem Regionalverband Saarbrücken darüber zu informieren und den DGE-Qualitätsstandard vorzustellen. Wir haben außerdem einen Zertifikatskurs entwickelt, an dem sich alle Akteur*innen beteiligen können, die im Ganztag für die Mittagsverpflegung verantwortlich sind. Der Lehrgang besteht aus 10 Modulen à 4 Stunden plus schriftliche Abschlussprüfung. Der Kurs deckt die wichtigsten Themen der Schulverpflegung ab, wie z. B. die Entwicklung des Essverhaltens von Kindern und Jugendlichen. Dieses Modul hilft den Teilnehmer*innen ihr eigenes Essverhalten zu reflektieren und öffnet sie für ihre Vorbildrolle. Weitere Themen sind Ernährungsbildung, Hygiene, pflanzenbasierte Speisenangebote, Lebensmittel aus der Region und Erfahrungen aus der Praxis. Über den Zertifikatskurs hinaus bieten wir zahlreiche Fortbildungen auch zu einzelnen Aspekten an, mit denen wir uns ebenfalls an alle interessierten Akteur*innen richten.
Wie war die Resonanz auf die verbindlichen Vorgaben?
Alle Akteur*innen haben das befürwortet, auch alle Speisenanbieter. Wir hatten und haben gut aufgestellte Unternehmen, denen die Qualität der Schulverpflegung auch im Sinne von Gesundheitsförderung ein Anliegen ist. Vor Inkrafttreten der verbindlichen Umsetzung mussten viele Speisenanbieter mit Wettbewerbern konkurrieren, die Schulmahlzeiten zu Dumping-Preisen mit entsprechend mäßiger Qualität angeboten haben. Das hat sich geändert, weil Wettbewerbsbedingungen damit vereinheitlich wurden.
Wie hat sich die Angebotsqualität seither verändert?
Referenzpunkt ist eine Untersuchung im Saarland zur Schulverpflegung im Jahr 2007, die typische Schwachstellen gezeigt hat, wie z. B. zu viel Fleisch und zu wenig Gemüse und Vollkornprodukte im Angebot. Heute haben wir die verpflichtende Umsetzung des DGE-Qualitätsstandards und damit haben wir eine deutlich bessere Angebotsqualität. Wir haben mittlerweile viele Unternehmen, die DGE-zertifizierte Menülinien anbieten.
Welchen Einfluss hatte die gesetzliche Verankerung auf die Entwicklung der Mahlzeitenpreise?
Das war eine ganz zentrale Fragestellung, ob das Essen teurer wird. Deswegen haben wir das anfangs sehr genau beobachtet. Die Preissteigerungen, die wir beobachten konnten lagen aber nicht außerhalb dessen, was es vorher schon an Preisentwicklung gab. Wir sehen also keinen Einfluss auf die Mahlzeitenpreise, der sich auf die verpflichtende Umsetzung zurückführen lässt.
In der Rückschau: Was sind Ihre zentralen Erkenntnisse?
Die Diskussionen um die Qualität der Schulverpflegung haben sich in gewisser Hinsicht befriedet, weil alle sich auf diese Basis verständigt haben. Eine weitere langfristige Erkenntnis ergibt sich aus der Tatsache, dass die Verpflichtung schon 10 Jahre alt wird: Die Speisenanbieter melden unisono zurück, dass diejenigen Kinder, die Mittagsverpflegung nach dem DGE-Qualitätsstandard bereits in der Grundschule kennengelernt haben, in der weiterführenden Schulen viel aufgeschlossener sind. Dies bestätigt alles, was wir aus der Wissenschaft zur Entwicklung eines gesundheitsfördernden Essverhaltens kennen. Was wir außerdem für wesentlich halten, ist die Kommunikation. Ein solcher Prozess braucht Gespräch und Verständigung, immer wieder und mit allen Stakeholdern auf allen Ebenen, um Ziele und das Warum zu erklären. Dabei ist aber entscheidend, die eigene innere Haltung zu behalten. Damit meine ich, Stakeholder einzubeziehen in einen Qualitätsentwicklungsprozess muss nicht bedeuten, Ziele aufzuweichen. Rückblickend gesehen war der Weg genau der Richtige.
Welche Empfehlungen würden Sie anderen Ländern mit auf den Weg geben?
Eine Empfehlung ist, die Qualitätskontrolle von Anfang an als zentrales Element einer verbindlichen Umsetzung mitzudenken.