Der Fachkräfte-Radar der Bertelsmann Stiftung hat anhand verschiedener Szenarien den Fachkräftebedarf für die Umsetzung des Rechtsanspruchs auf Ganztagsbetreuung in der Grundschule ab 2026 berechnet. Die Berechnungen sehen die Bundesländer unterschiedlich aufgestellt.
Nach den Berechnungen der Bertelsmann Stiftung sind die Bundesländer unterschiedlich darauf vorbereitet, den Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung in der Grundschule umzusetzen. So könnten die ostdeutschen Länder bis 2030 zwar jedem Kind einen Ganztagsplatz anbieten, sie sollten sich aber – über den Rechtsanspruch hinaus – auf Qualitätsverbesserungen in der Personalausstattung konzentrieren, so die Autor*innen des aktuellen Fachkräfte-Radars. In den westlichen Bundesländern müssten mehr als eine Million Ganztagsplätze geschaffen werden, um den Rechtsanspruch flächendeckend zu erfüllen. Insgesamt bedeute dies, dass über 100.000 pädagogische Fachkräfte (West und Ost) mehr benötigt werden, als voraussichtlich zur Verfügung stehen, so das Fazit.
Statistische Situation unübersichtlich
Weil nach Auffassung der Autor*innen die Situation der Ganztagsförderung aufgrund unvollständiger und uneinheitlicher statistischer Informationen unübersichtlich ist, bleibe der Handlungsbedarf für Politik und Verwaltung oftmals unbestimmt. Für eine Steuerung der Ganztagsförderung fehlten differenzierte Daten, um die Ausgangssituation räumlich, personell und finanziell verlässlich bestimmen und dementsprechend Maßnahmen ableiten zu können, erklären die Fachleute. Deshalb haben sie den Fachkräfte-Bedarf in insgesamt sechs Szenarien berechnet, die spezifische Annahmen über die Ausgestaltung bzw. die Nutzung der Ganztagsangebote berücksichtigen.
Annahme: Teilhabequote 100 % von Klasse eins bis vier
Die oben genannte Zahl fehlender Fachkräfte ergibt sich aus der Annahme, dass bis 2030 alle Kinder, die einen Rechtsanspruch haben, diesen mit einer wöchentlichen Betreuungszeit von 40 Stunden auch wahrnehmen (Teilhabequote 100 % in Klasse eins und in den Folgejahren bis Klasse 4). Nach diesem Szenario werden in Westdeutschland voraussichtlich 76.000 Fachkräfte fehlen, in Ostdeutschland 26.000 Fachkräfte. In weiteren Szenarien, die von einer niedrigeren Teilhabequote ausgehen, fällt der Fachkräftebedarf entsprechend niedriger aus. Basisannahme für alle Szenarien ist die voraussichtliche Entwicklung der Geburtenzahlen. Weil der Fachkräfte-Radar ein Prognose-Tool ist, weisen die Fachleute darauf hin, dass die Ergebnisse der Berechnung keine Voraussagen bieten, aber wichtige Orientierungen für mögliche Trends sein können.
Studie DJI und TU Dortmund: Bedarf geringer als angenommen, regionale Unterschiede
Im Forschungsverbund hat auch das Deutsche Jugendinstitut (DJI) mit der Technischen Universität Dortmund (TU Dortmund) im letzten Jahr den Ausbaubedarf zum Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung in der Grundschule vorausberechnet. Bundesweit müssten bis zum Schuljahr 2029/30 rund 600.000 zusätzliche Ganztagsplätze für die Kinder im Grundschulalter geschaffen werden, so die Expert*innen. Bereits jetzt würden in Deutschland über 1,6 Mio. Grundschulkinder ein Ganztagsangebot nutzen. Das bedeute, dass drei von vier der benötigten Plätze aktuell bereits vorhanden seien. Mit den Vorausberechnungen weisen die Fachleute auf unterschiedliche Ausgangssituationen in den Bundesländern hin: Während in den ostdeutschen Flächenländern und Hamburg nur noch ein kleiner Teil der Plätze fehle, müssten in den westdeutschen Flächenländern im Mittel noch zwischen 30 und 40 % der Plätze geschaffen werden.
NQZ: Personelle und materielle Infrastruktur auch für Schulverpflegung
Kinder, die eine Ganztagsschule besuchen, müssen mit gesundheitsförderlichen Mahlzeiten versorgt werden. So sieht es ein Beschluss der Kultusministerkonferenz vor. Damit beim Ausbau der Ganztagsbetreuung in Grundschulen das Angebot von Schulverpflegung angemessen berücksichtigt wird, hat das NQZ das Thema auf die Agenda des diesjährigen NQZ Expertenkreises gesetzt. Einig sind sich die Expertinnen und Experten, dass mit dem Rechtsanspruch die Bedeutung einer gesundheitsförderlichen und nachhaltigeren Schulverpflegung weiter zunehmen wird. Der Lern- und Lebensort Schule brauche ein integriertes Mahlzeitenangebot, so die Fachleute aus Wissenschaft, Praxis und Politik, die sich bereits über mögliche und zielführende Schritte und Wege ausgetauscht haben. Alle relevanten Akteure auf Bund- und Länderebene müssten in den nun gebotenen Qualitätsentwicklungsprozess eingebunden werden, um die Verpflegung strukturell im Ganztagsausbau einzubinden und zu stärken.
Quellen
- Pressemitteilung der Bertelsmann Stiftung vom 5. Juli 2022: Mehr als 100.000 Fachkräfte fehlen für guten Ganztag für Grundschulkinder bis 2030
- NQZ-News vom 24. Juni 2022: NQZ-Expertenkreis diskutiert Rechtsanspruch auf Ganztag in der Grundschlue
- NQZ-News vom 22. Oktober 2021: Ganztag für Grundschule: Studie berechnet Ausbaubedarf
- NQZ-News vom 9. September 2021: Rechtsanspruch auf Ganztag in der Grundschule beschlossen